Helmstedt. Das Handwerk hat goldenen Boden. Dieser Spruch wird gern im Rahmen von Freisprechungen im Handwerk genutzt. Es scheint aber, als traue so mancher den Worten nicht, denn dem Handwerk fehlen mehr und mehr die Fachkräfte.
Betriebe können Aufträge nicht annehmen, weil es ihnen an Personal mangelt. Dieses Problem verschärft die aktuelle Situation, die von Materialknappheit und explodierenden Preisen geprägt ist. Wir waren mit Mark Wiedenberg, Zimmerer und Dachdecker, unterwegs.
Um bestimmte Aufträge annehmen zu können, muss er sich inzwischen Personal leihen. „Das kann ja keine Dauerlösung sein“, sagt er. Mehr noch: „Ich vergraule mir Kunden, weil ich deren Anfragen und Aufträge nicht erfüllen kann.“
Es ist 8 Uhr am Morgen. Wiedenberg bedient ausschließlich Privatkunden. Darum startet er in diesen Tagen nicht so früh, wie sonst. „Abgesehen davon müssen wir auf’s Dach. Da sollte es schon hell sein“, erklärt er. Zwei Baustellen fährt er heute an. Kleinigkeiten, Service. „Das ist Dienstleistung am Kunden.“ Einmal muss eine dicke Eichenbohle angepasst werden. Sie deckt eine „Grube“ in einer Garage ab. Sie habe sich verzogen, meint der Kunde. Sowas erledigt Wiedenberg nebenbei. Beim zweiten Auftrag geht es für ihn auf das Dach des Kunden. Es ist schon etwas älter und hat wohl unter den Folgen der letzten Stürme gelitten, fürchtet der Kunde. Die Schäden sind repariert, aber der Hausbesitzer fürchtet ein paar lockere Firststeine und Pfannen. Wiedenberg prüft das gründlich, korrigiert hier und da, und: „Alles in Ordnung“, lautet sein Urteil. Leiter zurück auf das Wagendach, Werkzeug verpacken, noch ein Plausch mit dem Kunden, fertig.
Wiedenbergs Kunden kennen ihn, rufen auch gern mal am Abend an oder schicken eine Nachricht, wenn es mal wieder „brennt“. Er erledigt auch Aufträge, die andere mangels Volumen ablehnen würden. „Das gehört dazu“, meint er. Und mitunter wird er sich auf eben diese Aufträge reduzieren müssen, denn: „Für größere Baustellen, Dachstühle und so weiter, brauche ich Personal. Das kann ich nicht alleine erledigen.“
Seit 33 Jahren ist Wiedenberg im Beruf. Eine Situation, wie in diesen Tagen, hat er nach eigenen Aussagen so noch nicht erlebt. „Wir haben alles versucht, online, im Print, über die Agentur für Arbeit. Nichts“, so Wiedenberg, der ergänzt: „Es gibt genug Arbeit, aber ich habe das Gefühl, dass viele Menschen einfach nicht mehr arbeiten wollen.“ Und von diesen Menschen fühle er sich förmlich ausgelacht. Das Problem sieht er im Sozialstaat, der diese Entwicklung fördere. „Man muss heute nicht mehr arbeiten, um leben zu können“, meint er, „wir haben für ungelernte Hilfsarbeiter schon immer Mindestlohn gezahlt. Am Ende haben viele aber mehr in der Tasche, wenn sie nicht arbeiten gehen. Das neue Bürgergeld wird das noch verschärfen“, ist sich Wiedenberg sicher. Ein schwieriges Thema ist das, bei dem es wohl nicht nur Schwarz oder Weiß gibt. Das weiß auch Wiedenberg.
Kreishandwerksmeister Martin Bauermeister sieht das Problem differenziert. „Mit dem Bürgergeld ist man im Handwerk alles andere als glücklich“, sagt er am Telefon. Um Menschen in Arbeit zu bringen, brauche es Anreize, und dazu gehöre mitunter auch ein gewisser Leidensdruck, erklärt er weiter. Man könne allerdings nicht nur auf die Politik schimpfen. Die habe nun einmal nur bestimmte Möglichkeiten. Vielmehr vermisst Bauermeister einen Ruck, der durch die Gesellschaft geht. „Wir glauben, dass der Staat alles richten wird und befinden uns in einer Lethargie, die uns bremst. Wir sind aber alle gemeinsam der Staat und müssen die Ärmel hochkrempeln“, sagt er und ergänzt: „Wir müssen lernen, dass eine Volkswirtschaft nur funktioniert, wenn wir ein hohes Maß an Leistungsbereitschaft mitbringen.“
Das Problem sei nicht auf Niedersachsen oder Deutschland beschränkt: „Wir haben weltweit Veränderungen“, so Bauermeister. Lethargie sei die falsche Antwort darauf. Übrigens gibt es laut Auskunft der Agentur für Arbeit im Landkreis Helmstedt vier Arbeitssuchende auf 12 Stellenangebote im Bereich Hochbau.