Grasleben. „Geht doch“, sagt Gabriele Müller-Hunold. Ihre Augen strahlen dabei und ihre Lippen formen ein Lächeln. „Geht doch“, trifft in diesem Fall den Kern eines neuen Weges, den die evangelisch-lutherische Gemeinde St. Marien in Grasleben als Teil des Pfarrverbandes Nord zusammen mit dem Malermeister Martin Bauermeister aus Bahrdorf eingeschlagen hat.
Dabei geht es auf den ersten Blick um einen simplen Gemeinderaum. Doch der zweite Blick offenbart den neuen Weg: Zeitgemäße Kirche lädt die Menschen in Räume ein, mit denen sie sich identifizieren können und sich wohlfühlen. Moderne Kirche hört was die Menschen möchten. In Grasleben darf das nun im neuen Gemeindesaal passieren – in allen Farben.
Früher, erzählt Müller-Hunold, habe Leben im Gemeindesaal aus Vorträgen, Familienfeiern, Übernachtungen in den Ferien, Konfirmandenunterricht, Musikunterricht, Winterkirche und so weiter bestanden. Doch das war früher. Inzwischen ist auch die evangelische Kirche immer wieder von Austritten betroffen. Und der Gemeinderaum in Grasleben, der hatte den abgegriffenen Charme der 70er Jahre. „Er war dunkel, deprimierend, altmodisch und nicht einladend“, bringt es Müller-Hunold auf den Punkt. Dann war eine Entscheidung fällig: den alten unschönen Teppich noch einmal reinigen lassen oder dem Saal eine vollständige Frischzellenkur verpassen.
Es war wohl Martin Bauermeister, der Malermeister mit dem Blick für das Ganzheitliche. „Am Anfang steht ein Raum und die Identifikation mit ihm und dem, was der Raum an Aufgabenstellungen abbilden muss“, so der Malermeister. Aber was für eine Aufgabenstellung hat der Raum denn nun? „Leben.“ Aber modernes Leben, der Raum sollte atmen und zugleich eine Brücke zur Basis, nämlich Kirche, herstellen, ganz unaufdringlich, aber als klares Bekenntnis. Das Ergebnis ist als solches bereits ein neuer Weg.
Der alte Raum mit Fenstern wie Schießscharten, die von schrecklich altmodischen Gardinen gesäumt waren, einer hässlichen Decke und noch hässlicherem Teppich, ganz abgesehen vom Mobiliar, ist nicht mehr zu erkennen. Wer ihn heute betritt, öffnet die Augen und nimmt die wohlige Atmosphäre auf. Um das zu erreichen hat Bauermeister auf der einen Seite leichte Töne für die Wände genutzt, als Herz und aus seiner Sicht als Paukenschlag etwas Sakrales eingebracht: zwei historische Kirchenfenster digital auf eine Tapete gebracht, täuschend echt in Räumlichkeit und in einem Passepartout, das den beiden Fenstern einen starken Auftritt verleiht, fast dreidimensional. Der Raum drückt jetzt aus, was in ihm passieren darf: Kirche in allen Facetten. Selbstbewusstsein. Zwischen den Fenstern ist ein kleines Kreuz dargestellt. Abgerundet ist das Musikstück aus Formen, Farben und Material durch ein tiefrotes plüschiges Sofa. Kirche? Ja, und noch mehr.
Der Effekt ist erstaunlich: Die Fenster aus dem Chorraum der echten Kirche, nur unweit vom Gemeindesaal entfernt, bekommen ungeahnte Aufmerksamkeit. Für Martin Bauermeister ist ein Raum immer ein Gesamtwerk, gleich einer Sinfonie, in der es Kontraste gibt, die aber in sich stimmig ist. Für den Malermeister hat der neue Weg, den er mit der Kirche in Grasleben eingeschlagen hat, bereits vor ein paar Jahren begonnen. „Wir haben mit Digitalisierung von Oberflächen, Kunstwerken, Natur oder realistischen Darstellungen, die wir Größengerecht anpassen können, ein großes Gestaltungselement in die Hand bekommen, mit dem wir sozusagen in den Raum hinein entwickeln können“, so der Malermeister. Heißt: Räumlichkeit bekommt auf diese Weise eine neue Dimension, mal authentisch in Form der Projektion einer Umgebung in den Raum, womit der Raum sozusagen mit seiner Umgebung verfließt, mal ganz leise und subtil und schließlich als Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins. Spannende schier unendliche Möglichkeiten auf Tapete – Einzigartigkeit garantiert.
In den Gemeindesaal von St. Marien in Grasleben soll Leben einziehen, bunt darf es sein, Kirche will sich für die Menschen öffnen. Der Saal ist sozusagen ein freundliches Bindeglied ohne Schwelle. „Gute Worte reichen nicht, auch räumlich müssen wir zeitgemäß auftreten“, so Gabriele Müller-Hunold. Mit einem Gemeindesaal, der das Überzeitliche verkörpert, ist aus ihrer Sicht der erste wichtige Schritt getan.